Rassismus ist ein Gift aus der Mitte

Datum 21.03.2012 13:06 | Thema: 

Rassismus und Fremdenfeindlichkeit hausen nicht nur am rechten Rand. Wer diese Übel bekämpfen will, darf sie nicht nur in eine Terrorzelle oder die NPD auslagern.

Stephan Hebel ist politischer Autor.
Stephan Hebel ist politischer Autor.

Ein paar Nachrichten aus den dunkeldeutschen Gebieten unseres Landes, alle von diesem Dienstag: Die Polizei nimmt in vier Bundesländern zwei Dutzend Rechtsextremisten fest, denen systematische Drohungen und Gewalt gegen Linke vorgeworfen werden. Aus Sachsen-Anhalt wird von einem Überfall auf einen türkischen Imbissbetreiber berichtet – die Polizei habe, heißt es, das aus dem Ohr blutende Opfer erst mal einem Alkoholtest unterzogen. Brandenburgs Verfassungsschutz teilt mit, viele Neonazis verlagerten ihre Aktivitäten weg von der NPD und hin zu den „Freien Kräften“.

Meldungen dieser Art gibt es so gut wie jeden Tag. Sie überraschen uns, wenn sie überhaupt den Weg auf die große Medienbühne finden, kaum. Sicherlich war eine Mehrheit in Deutschland schockiert, als sie erfuhr, dass einige Neonazis sich jahrelang als Terroristen betätigten. Aber der „kleine“, tägliche Terror gegen Andersdenkende, die Gewalt gegen Ausländer, die wechselnden Organisationsstrukturen des Rechtsextremismus – das alles regt uns kaum noch auf. Es passiert ja in der braunen Schmuddelecke, mit der wir alle nichts zu tun haben. Oder?

Bootsflüchtlinge besser behandeln

Genau hier liegt der Irrtum. Nazi-Terroristen, rechte Schläger und marodierende Glatzen bewegen sich am Rande der Gesellschaft, das stimmt. Aber zwischen diesem Rand und der Mitte steht keineswegs eine Mauer, auf deren heller Seite die Toleranten und Demokraten leben, während Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nur die dunklen Winkel des Extremismus bewohnen. Wäre es so, dann ließe sich das rechte Unwesen vergleichsweise leicht lokalisieren und bekämpfen. Doch wir finden dieses Unwesen, in etwas zivilerem Gewand, auch in der Mitte des Alltagsbewusstseins und der etablierten Politik.

Polizisten, die dem türkischen Opfer mehr misstrauen als den Tätern; Behörden, die von „Döner-Morden“ reden und die Spuren nach rechts ignorieren; Politiker, die (wie vor ein paar Jahren Angela Merkel) von „Flüchtlingsbekämpfung“ reden – das sind alles keine Nazis. Aber jenseits aller schönen Worte von Integration und friedlichem Zusammenleben liefern sie dem rechten Rand das Material für seine verlogene Legitimation.

Und nicht nur mit Worten. Der Ausdruck „Flüchtlingsbekämpfung“ war ja deshalb ein so bemerkenswerter Lapsus der Kanzlerin, weil sie die reale Politik damit absolut angemessen beschrieb – versehentlich, ist anzunehmen. In der vergangenen Woche erst war es der Europäische Gerichtshof, der die Missachtung der Menschenrechte an Europas Außengrenzen höchstrichterlich feststellte: Die Praxis, Bootsflüchtlinge ohne Asylprüfung ins Verderben zu entlassen, verurteilte er als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Einen Tag vorher war in Deutschland mal wieder vom Selbstmordversuch eines eingesperrten Flüchtlings zu lesen.

Hetze im Gewand der „Islamkritik“

Das ist die Wirklichkeit im Land derselben Kanzlerin, die sich bei den Opfern der NSU-Terrormorde entschuldigte. Das tat Frau Merkel sicherlich aus Überzeugung, aber mit begrenzter Glaubwürdigkeit: Wer Rassismus und Fremdenfeindlichkeit erfolgreich bekämpfen will, ist schlecht beraten, diese Übel in eine Terrorzelle oder die NPD auszulagern, um sie dann zu verfolgen oder zu verbieten. Gut beraten wäre die Politik, finge sie den Kampf für Toleranz bei der eigenen Praxis an.

Zum Beispiel bei der Flüchtlingspolitik. Oder bei der ideologischen Hintergrundmusik: Auf der Homepage der NPD ist zu lesen: „Auf den Gedanken, dass ein Sozialsystem, welches sich für die ganze Welt öffnet..., zum Scheitern verurteilt ist“, wolle oder solle „niemand kommen“. Irrtum! Im CSU-Programm steht: „Keine Gemeinschaft kann Menschen anderer kultureller Prägung in beliebiger Zahl integrieren... Wir wollen keine Zuwanderung, die unsere Sozialsysteme einseitig belastet.“

Nein, auch die Christsozialen sind deshalb keine Nazis. Sie schüren „nur“ dieselbe Furcht vor dem angeblich grenzenlosen „Zustrom“ der „Fremden“, die dann die Extremisten für ihre eigenen Zwecke nutzen. Extremisten übrigens, die keineswegs nur in den rechten Kameradschaften und Parteien sitzen. Sondern auch in den Schreibstuben all der Homepages und Blogs, die im Gewand der „Islamkritik“ den Hass gegen ganze ethnische und religiöse Gruppen schüren, indem sie alle Muslime mit Extremismus und Terrorismus gleichsetzen. Und zwar lange Zeit unbeachtet von unseren Verfassungsschützern, weil es an vertrauten Merkmalen des Rechtsextremismus wie Antisemitismus mangelte.

Der Schock über den Terror des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ mag heilsam gewirkt haben, was Ton und Praxis im Umgang mit Taten und Opfern betrifft. Doch der Humus, den die Extremisten aus der Mitte von Gesellschaft und Politik beziehen, ist so fruchtbar wie eh und je.

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Dieser Artikel stammt von Ausländerbeirat der Stadt Usingen
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