Das Eigenlob des leidenschaftslosen Friedrich

Datum 29.10.2012 12:05 | Thema: 

Wer bei Jauch einen energisch gegen Rechts kämpfenden Innenminister erwartete, wurde enttäuscht. Seltsam unaufgeregt hob Hans-Peter Friedrich seine Politik nach der Neonazi-Mordserie hervor. (Die Welt)

Bei Günther Jauch ging es um die Neonazi-Morde und deren Folgen

Foto: screenshot ARD Bei Günther Jauch ging es um die Neonazi-Morde und deren Folgen


Bald jährt sich der erste Todestag von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Nach dem Fund der Leichen der beiden Männer in einem brennenden Wohnmobil am 4. November 2011 ahnte in Deutschland noch niemand, dass die beiden zusammen mit Beate Zschäpe aus dem Untergrund heraus eine rechtsextrem motivierte Mordserie mit zehn Toten begangen hatten.

Auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wurde kalt erwischt, als das Ausmaß der Taten durch das Neonazi-Trio vor einem Jahr allmählich bekannt wurde. Friedrich war am Sonntagabend der zentrale Gast bei Günther Jauchs Talk zum Thema "Deutscher Hass – wie tief ist der Neonazi-Sumpf?".

Sein Auftritt wurde symptomatisch: Rein technisch mag Friedrich und mit ihm die Politik richtige Antworten auf die Neonazi-Mordserie gegeben haben.

Das Vertrauen in den Sicherheitsapparat ist aber zu Recht beschädigt geblieben - es fehlt der Politik und hier auch Friedrich selbst an der nötigen Leidenschaft, den größten Makel der Sicherheitsapparate wieder auszubügeln.

Das sagten Günther Jauchs Gäste 1/4

 

Bundesinnenminister

Hans-Peter Friedrich (CSU):

 

"Entscheidend ist doch, dass wir

genau diese Defizite jetzt abgeschafft haben.

Wir haben doch jetzt genau

die richtigen Konsequenzen gezogen."

 

Cem Özdemir,

Grünen-Vorsitzender:

 

"Die Verharmlosung von Rechtsextremismus,

die zieht sich wie ein roter Faden bis heute durch."

 

Thomas Kuban,

Autor:

 

"Faktisch ist es so, dass sich

die Neonazis diesen rechtsfreien

Raum nicht einmal erkämpfen müssen."

 

Mely Kiyak,

Journalistin:

 

"Egal wen Sie dort haben,

es ist immer das gleiche Frage- und

Antwortspiel: Jeder versucht es

herunter zu degradieren auf

ein Kommunikationsproblem."

 

In einem einleitenden Gespräch zu seiner Runde sprach Jauch mit Thomas Grund. Dem Sozialarbeiter aus Jena wurde kürzlich in einer Fernsehdokumentation angelastet, mitverantwortlich für die Radikalisierung von Zschäpe und Mundlos zu sein.

 

Sozialarbeiter nachlässig mit Zschäpe

Die beiden waren in Jena Anfang der 90er Jahre Gäste in seiner Jugendarbeit, die den Gästen möglichst viel Freiraum ließ. Die Toleranz ging so weit, dass die Sozialarbeiter einen Diebstahl der beiden nicht anzeigten.

Heute sagt Grund: "Es besteht die Möglichkeit, dass man restriktiv mit einer Anzeige bei der Polizei was bewirkt hätte, was ich aber nicht weiß" - kurz nach dem straffreien Diebstahl ließ sich Zschäpe jedenfalls nie wieder in dem Jugendtreff blicken und tauchte später unter.

Das Verhalten der Sozialarbeiter nannte Jauch noch einen der harmlosesten Vorwürfe rund um das ungehinderte Morden der NSU. Im Bundestag, aber auch in den Landtagen von Bayern, Thüringen und Sachsen brachten Untersuchungsausschüsse schon viele Belege für das kollektive Versagen zutage.

Die noch offene Frage bleibt, ob es dafür womöglich einen bis heute nicht trocken gelegten Nährboden in der Gesellschaft gibt.

 

Hetzbriefe gegen Journalistin

Einen solchen Verdacht nährten zwei Gäste bei Jauch. Da war die Journalistin Mely Kiyak von der "Frankfurter Rundschau". Sie berichtet aus dem Bundestagsausschuss zur NSU und schreibt viel über Integrationsthemen. "Zum täglichen Brot" ihrer Arbeit würden rechtsradikale Beleidigungen gehören, sagte Kiyak.

Aus einem Brief zitierte sie etwa: "Raus mit dem fremdvölkischen Ungeziefer aus Deutschland". Jeder dieser Hetzbriefe werde der Polizei übergeben, erzählte die Journalistin. Und was passiert dann?, fragte Jauch. "Nichts. Ich habe bis zum heutigen Tag nie irgendetwas gehört."

Friedrich hätte mit einem "das darf ja wohl nicht wahr sein" nun so richtig der Polizei öffentlich Zunder geben können, auch vermeintlich kleinen rechtsextremen Auffälligkeiten nachzugehen. Doch stattdessen sagte der Bundesinnenminister entschuldigend: "Es ist natürlich schwierig, bei solchen anonymen Briefen auf irgendwelche Urheber zu kommen."

Damit hat der nächste Polizist, der solch einen Hetzbrief zur Prüfung in die Hände bekommt, von ganz oben die Befugnis, sich nicht zu überanstrengen. Nur am Rande: In Friedrichs bayerischer Heimat werden als Teil der CSU-Innenpolitik Schulschwänzer von der Polizei zu Hause abgeholt, weil Schwänzen als Anfang krimineller Karrieren gesehen wird.

 

Neonazis kampflos im rechtsfreien Raum

Friedrich lieferte noch einen zweiten Beleg einer fehlenden Leidenschaft für die Anfänge der Radikalisierung. Ein weiterer von Jauchs Gästen war der Autor Thomas Kuban. Kuban trat mit einer Maskerade auf, weil er seit Jahren heimlich in der rechtsextremen Musikszene recherchiert und nicht enttarnt werden will.

Auch aus seinen Aufnahmen zitierte die Sendung übelste Hetztexte. Die, die sich solche Texte anhören, sind laut Kuban "inzwischen der Querschnitt der Gesellschaft". Und stets komme es bei solchen Konzerten zu Straftaten, wie dem Zeigen des verbotenen Hitlergrußes. "Bei solchen Konzerten ist eine hochgradig menschenverachtende und aggressive Stimmung", sagte der Experte.

Und auch Kuban berichtete, dass die Polizei die Neonazis meistens einfach gewähren lasse. Von 130 Konzerten pro Jahr seien zuletzt "nicht einmal zehn" aufgelöst worden. "Faktisch ist es so, dass sich die Neonazis diesen rechtsfreien Raum nicht einmal erkämpfen müssen."

Damit schilderte Kuban eine braune Realität in der Gesellschaft, die anders als die Hetzbriefe noch nicht einmal anonym passiert. Doch erneut blieb der Bundesinnenminister unaufgeregt. "Überall" seien Polizeikräfte und Verfassungsschutz mit bei den Konzerten und wüssten genau, was passiere.

Und außerdem gebe es "Tausende" Fälle von so genannten Propagandadelikten, die jedes Jahr angezeigt werden. Nur die Frage, warum die Konzerte - auch wenn sie vielleicht nicht zu verbieten sind - nicht zumindest aufgelöst werden, beantwortete Friedrich nicht.

 

Friedrich lobt sich selbst

Es mag sein, dass Friedrichs Unaufgeregtheit der beste Umgang mit dem Problem der Rechtsradikalität ist. Selbst Grünen-Chef Cem Özdemir bestätigte dem CSU-Mann, dass die nach dem Auffliegen der NSU-Mordserie ergriffenen Maßnahmen wie etwa die Rechtsextremismusdatei sinnvoll seien. Und ganz offensichtlich ist der Bundesinnenminister auch stolz auf diese Errungenschaften.

"Wir haben doch jetzt genau die richtigen Konsequenzen gezogen", sagte er. Als Friedrich von den permanenten Vorhalten, was der Verfassungsschutz und die Polizei alles falsch gemacht haben, genervt war, ließ er sich zu einem allerdings fragwürdigen Eigenlob hinreißen: "Ich bin halt jetzt erst Innenminister, deshalb kann ich es jetzt erst machen."

Was wohl die Angehörigen der neun ermordeten Migranten - das zehnte Opfer war die Polizistin Michèle Kiesewetter - angesichts dieses Satzes denken?

Wahrscheinlich nicht: Schade, wenn Friedrich früher Minister geworden wäre, könnte mein Kind oder mein Mann noch leben. Wahrscheinlich eher: Da sitzt wieder einer, der zuerst an seine eigene Haut denkt. Immerhin räumte Friedrich ein, dass es Fehlleistungen gab, "von denen ich verstehe, dass Menschen Vertrauen verlieren".

 

Die zerstörte Familie Yozgat

Wohl unwiederbringlich ihr Vertrauen verloren hat die Familie von Halil Yozgat. Der Besitzer eines Kasseler Internetcafés wurde 2006 erschossen, er starb in den Armen seines Vaters.

Genau wie alle anderen Angehörigen brachte auch der Vater nicht die Kraft auf, in die Sendung zu kommen. Die Familie Yozgat ließ sich aber durch ihren Rechtsanwalt Thomas Bliwier vertreten. Und der schilderte ein neues Leiden, das die Familien erleben.

Denn bei der Vorbereitung des Prozesses gegen Zschäpe und mehrere Mitangeklagte werde den Angehörigen derzeit der Zugriff auf bestimmte Akten verweigert. Grund sei eine angeblich drohende "Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland", sagte Bliwier.

Für ihn eine "absurde Begründung". Für die Angehörigen ist dies allerdings auch ein Beleg für ihre Einschätzung, was das Aufdecken der Neonazi-Mordserie in den vergangenen zwölf Monaten in Deutschland verändert hat: "Wirklich passiert ist nichts."





Dieser Artikel stammt von Ausländerbeirat der Stadt Usingen
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