Flüchtlingspolitik

Datum 18.10.2014 21:11 | Thema: 

15. Oktober 2014 10:59

In den Asylunterkünften schlummert großes Potenzial


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Eine Frau aus dem Sudan, gestrandet in Berlin: Wer in Deutschland Asyl beantragt, muss warten, warten, warten. 

(Foto: Adam Berry/Getty )

Asylbewerber sind arm und ungebildet? Eine Studie beweist das Gegenteil. Das Auswärtige Amt will die Flüchtlingspolitik nun völlig neu ausrichten - dahinter stecken eigennützige Motive.

Von Stefan Braun und Ulrike Heidenreich

Für jene Menschen, die dieser Tage unter elenden Bedingungen in Deutschlands Asylunterkünften ausharren, dürfte die Nachricht ein Hoffnungsschimmer sein: Das Auswärtige Amt plant eine grundsätzliche Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik. Anstatt Menschen in Not lebensgefährliche Überfahrten auf dem Mittelmeer zuzumuten, fordern Experten legale Wege, um Fachkräfte aus Afrika und dem Nahen Osten zu gewinnen. Wer als Asylsuchender in die EU-Länder kommt, soll möglichst schnell arbeiten dürfen. "Flüchtlingspolitik ist mehr als die Verwaltung von Flüchtlingsströmen und eine Strategie des Zäune-hoch-Ziehens", heißt es aus Regierungskreisen.

Uneigennützig ist die Initiative keineswegs: Die Wahrung des wirtschaftlichen und politischen Gewichts Deutschlands in der Welt sei nur durch Zuwanderung zu erreichen, heißt es. Angesichts der demografischen Entwicklung wäre der Bedarf des Arbeitsmarkts ansonsten kaum zu decken. Eine Migrationsstudie, die das Auswärtige Amt (AA) beim Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung in Auftrag gegeben hat, fordert deshalb dringend ein strategisches Konzept für die Asyl-, Flüchtlings-, Entwicklungs- und Zuwanderungspolitik. An diesem Mittwoch wird sich erstmals eine "Arbeitsgruppe Internationale Migration" zusammensetzen - auf Staatssekretärsebene; Innen-, Außen- und Entwicklungsministerium streben einen "klug abgestimmten Instrumentenmix" an.

Migranten aus Afrika kommen aus der gebildeten Mittelschicht

Wie nötig eine Steuerung ist, zeigt die bisherige Praxis: Verfolgt, vertrieben, geflüchtet und dann warten, auf eine Aufenthaltsgenehmigung oder die Abschiebung - so sieht das Leben der Flüchtlinge aus. In den Asylunterkünften herrscht Verzweiflung und Monotonie, dabei schlummert dort großes Potenzial. Denn es sind nicht die ärmsten Menschen, die sich aus den Regionen südlich und östlich des Mittelmeers auf die Wanderung Richtung Europa begeben. "Es sind diejenigen, die über das dafür notwendige Wissen, die Mittel und Möglichkeiten verfügen", so Reiner Klingholz vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Fazit: Die Migranten aus Afrika und dem Nahen Osten kommen aus der besser gebildeten Mittelschicht des Landes - und nicht aus der armen Landbevölkerung. Nur diese können eine Flucht organisieren und finanzieren.

Die Perspektive: Auf der einen Seite, in den meisten europäischen Ländern, sinken die Bevölkerungszahlen. Auf der anderen Seite, in den Staaten Nord-, West-, Zentral-, Ostafrikas und des Nahen Ostens dürfte sich die Zahl der Menschen bis 2050 mehr als verdoppeln auf über 2,7Milliarden. Es sind Bevölkerungswachstum, Armut, Kriege, Umweltkatastrophen, die schlechte Sicherheitslage und die Unzufriedenheit unter den Jugendlichen, weil dann in ihren Ländern nicht genügend Arbeitsplätze zu Verfügung stehen werden, die die Menschen ihr Glück und Heil in Europa suchen lassen.

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Eine "gesellschaftsverträgliche Organisation", um bei möglichen Problemen dann nicht auch noch populistischen Parteien in die Hände zu spielen, mahnt das Berlin-Institut an. Und eine Zuwanderungspolitik, die den steigenden Bedarf der eigenen Arbeitsmärkte deckt. Deutschland als führende Wirtschaftsnation sei hier in besonderer Verantwortung, heißt es aus Regierungskreisen.

Eine der Kernforderungen im Papier liest sich wie der Wunschtraum jeder Flüchtlingshilfsorganisation: "Die EU muss als Zuwanderungsziel besser vermarktet werden." Auf Portalen sollen Angebote und Bedürfnisse der Arbeitsmärkte der einzelnen Länder beschrieben werden. Bewerber können sich dort über die Erwartungen, die an sie gestellt werden, informieren sowie über die regulären Einwanderungsverfahren. Noch in ihrer Heimat können sie sich so auf Europa vorbereiten, Internet-Sprachkurse belegen oder mögliche Arbeitgeber kontaktieren.

Fast doppelt so hohe Akademikerquote wie bei deutscher Bevölkerung

Was daraus folgt, ist außerdem ein Umdenken in der Entwicklungshilfe: Die Untersuchung im Auftrag des AA weist darauf, hin, dass "Entwicklungshilfe durch Migration effektiver ist als Entwicklungshilfe zur Verhinderung von Migration". Im Klartext heißt das, dass es sinnvoller ist, anerkannte Asylbewerber beispielsweise in Deutschland gut auszubilden und ihnen eine stabile Basis zu geben, damit sie ihr Wissen und Kapital später zurück in ihre Herkunftsländer bringen - anstatt das Geld ausschließlich in Bildungsprojekte in den betroffenen Entwicklungs- oder Krisenländern selbst zu stecken. Das Interesse dürfte groß sein: Wirtschaftsmigranten und Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten weisen im Schnitt nämlich eine fast doppelt so hohe Akademikerquote auf wie die einheimische deutsche Bevölkerung.

Für das Jahr 2014 rechnen die EU-Länder mit 200 000 illegalen Grenzübertritten von Flüchtlingen. Notwendig seien darum auch intensive Partnerschaften mit jenen Staaten, von denen aus die Migranten über das Mittelmeer starten - um die Arbeit von Menschenhändlern und Schlepperbaden zu erschweren. Auch hier dürfe es nicht nur um die Ausbildung von Sicherheitskräften gehen, so die Studie. Nein, jene Länder wie Libyen, die wenig Interesse und Möglichkeit haben, ihre Grenzen zu kontrollieren, müssten beispielsweise mit Stipendien für Studenten oder Kontingenten für benötigte EU-Arbeitskräfte unterstützt werden. Denn: "Der Wanderungsdruck nimmt weiter zu."





Dieser Artikel stammt von Ausländerbeirat der Stadt Usingen
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